Mit „Jonny“ muss gerechnet werden

Johannes Zwanzger ist wieder in Sachen Computerschach unterwegs. In Amsterdam nimmt er derzeit mit seinem Programm „Jonny“ an der Weltmeisterschaft teil. Wir berichten zeitnah und ausführlich aus Sicht unseres Spitzenspielers. Auch die Partien stehen jetzt als pgn und zum Nachspielen zur Verfügung. Johannes Zwanzger nun mit seinem Abschlussbericht:
Bericht bei Chessbase
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Jonny zum Kennenlernen
WM-Partien (alle Partien von Jonny)

Hier der Bericht von Johannes Zwanzger zum Auftakt:

Was niedlich aussieht…

„Wie im letzten Jahr eine gute Auftaktpartie von Jonny! Gegen „Diep“ von Vincent Diepeveen kommt Spanisch aufs Brett und bereits wenige Züge nach Verlassen des Buchs entsteht eine äußerst komplizierte und unklare Stellung: Weiß versucht, von den schwarzfeldrigen gegnerischen Schwächen in der Königsstellung zu profitieren, während Schwarz auf seinen Freibauern auf der d-Linie pocht. Der erste Zug, den Vincent (selbst ein guter Schachspieler und Fidemeister) und ich als klaren Fehler zu erkennen meinen, ist 44. Ld3?, wonach bald eine Stellung entsteht, die nur Schwarz gewinnen kann. Aber auch das gestaltet sich zunächst alles andere als einfach, denn ein klarer Gewinnplan ist nicht in Sicht. Doch plötzlich, beginnend mit 60. … Kh7, explodiert Jonnys Score binnen weniger Züge, während den Menschen außenrum und auch Diep noch eine ganze Zeit lang nicht klar wird, was eigentlich los ist. Die Pointe ist 65. … Td4!, womit Schwarz seinen Bauern auf c3 aufgibt, um 18 Züge später eine tödliche Mattdrohung gegen den weißen König aufzubauen, die Weiß nur durch ein Opfer seiner Dame gegen den schwarzen Turm aufheben kann. Das sind genau die Momente, wegen derer mich die Schachprogrammierung so reizt: selbst ein relativ einfach aufgebautes Programm wie Jonny entwickelt Dank der enormen Rechenpower heutiger Rechner ein „Eigenleben“ in dem Sinne, dass es in der Lage ist Dinge zu finden, auf die sein Erschaffer (also ich) nie im Leben gekommen wäre. Aber leider ist es so, dass dieser gute Eindruck bereits mit der nächsten Partie wieder vorbei sein kann und ich den Rechner dann mitsamt Programm am liebsten in die Tonne treten würde – gut, dass der wie im Vorjahr sicher in Bayreuth steht…

… sind doch nur Grabsteine

Da wir dieses Jahr ein Rundenturnier spielen, stehen die Paarungen schon alle vorher fest: morgen wird Jonny in der zweiten Runde mit Weiß gegen Gridchess spielen, während er sich in der dritten Runde gegen den vielfachen Weltmeister Shredder mit den schwarzen Steinen behaupten muss. Auf meinem gestrigen Erkundungsrundgang bin ich auf folgenden Stein gestossen. „Niedliches Ding, könnte man sich glatt in den Garten stellen“, war mein erster Gedanke. Nachdem ich jedoch kapiert hatte, um welche Art von Laden es sich da handelte, hab ich meine Meinung dann doch geändert…“

Hier Johannes Zwanzgers zweiter Bericht:

Kai Himstedt

„Heute früh kam es leider, wie ich es befürchtet hatte: Jonny zeigte sich von seiner schlechteren Seite. In der Partie gegen das von Kai Himstedt entwickelte „GridChess“ (eine hochparallele Version der Open-Source-Programme Fruit bzw. Toga, das auf insgesamt über 80 Prozessoren rechnet), kommt eine bekannte Damengambitstellung aufs Brett, in der Jonny den rechten Durchblick vermissen lässt – das Turm-„Manöver“ Ta1-e1-b1-c1 spricht Bände. Trotz allem erreicht er mit der Zugfolge 19. Lxe4 und 20. Se5 eine positionell vielversprechende Stellung, in der Schwarz im Prinzip zum Mattsetzen verdammt ist, will er nicht langfristig zusammengeschoben werden. Und genau das tut GridChess, mit freundlicher Unterstützung von Jonny: schon 36. Sc5 wirkt anrüchig, denn so kann der Springer nicht mehr an der Verteidigung teilnehmen; kritisch wird es dann mit 37. De2?!, wonach der Knaller 37. … Tf3! dem schwarzen Angriff weiteres Leben einhaucht. Nach 38. Kf1 hätte GridChess wohl eine Figur geopfert mit letztlich ziemlich unklarer Stellung, nach Jonnys 38. Tac1?? ist es dagegen sofort aus – das Opfer 38. … Lxh3! entscheidet die Partie im Mattangriff, während Weiß für seine lehrbuchmäßige Aufstellung am Damenflügel höchstens einen Trostpreis beantragen kann.

Stefan Meyer-Kahlen

Die Nachmittagsrunde läuft besser und bringt ein kleines Kuriosum: Shredder spielt mit 9. Ld2?! aus seinem Buch heraus eine sehr zweifelhafte Variante (wenn es da überhaupt Vorgänger gibt), nur um nach den eigentlich sehr natürlichen schwarzen Gegenzügen bereits im 16. Zug das Remis durch Zugwiederholung zu forcieren – sicher nicht das, was sich Stefan Meyer-Kahlen, der Autor von Shredder, gewünscht hatte – schließlich ist Shredder einer der
Favoriten auf den Turniersieg. Wie auch immer, ich kann mit diesem einfachen Schwarzremis natürlich gut leben!“

Hier der Bericht zur 5. Runde:

Ein Blick in den Turniersaal

In der Vormittagsrunde gelingt Jonny gegen The King von Johan de Koning eine absolut lupenreine Partie. Trotz der symmetrischen Bauernstruktur kann er seinen leichten Vorteil aus der Eröffnung immer weiter verstärken, ohne dass direkte schwarze Fehler erkennbar sind. Nach 30. a4 bxa4 31. Lxa6 ist klar, dass der Nachziehende Probleme hat, denn sein a-Bauer wird früher oder später das Zeitliche segnen. Im 41. Zug ist The King dann der passiven Verteidigung müde und beschließt, eine Figur für zwei weiße Bauern zu geben, um die Stellung am Königsflügel „abzuklammern“. Dies gelingt jedoch nicht, denn nachdem Weiß auch noch forciert die Türme abtauschen kann, gehen dem schwarzen Schimmel (Achtung, Kalaueralarm!) bald die Felder gegen das weiße Läuferpaar aus.

Hier wird Go gespielt

Am Nachmittag gibt es dann die erwartete Klatsche gegen das derzeit die „Szene“ dominierende Programm Rybka von Vasik Rajlich. In einem Spanier öffnet Jonny mit 13. … gxf6 seine Königsstellung, was Rybka sehr geschickt mit 15. d4! ausnutzt. Unter Bauernopfer schaltet Weiß dann alle Figuren in den Angriff gegen den schwarzen König ein und bereits im 34. Zug muss ich die Segel streichen. Stark gespielt von Rybka! Meine Enttäuschung über diese Niederlage hält sich in Grenzen, erstens war sie „eingeplant“ und zweitens liegt Jonny mit 2.5/5 angesichts der bisher starken Gegnerschaft absolut im grünen Bereich.

Wer Lust hat, die WM live zu verfolgen: Auf dem Fritzserver werden einige Partien übertragen (wer keinen Fritz hat, kann einen entsprechenden Client dort herunterladen). Noch einfacher geht es unter Shredderchess, wo Stefan Meyer-Kahlen die Partien seines Programms Shredder (live und inklusive Bewertungen!) präsentiert.

Hier der Bericht Johannes Zwanzgers zur 6. Runde:

„Die heutige sechste Runde lief wieder gut für Jonny. Gegen Zappa von Anthony Cozzie, den Weltmeister von 2005, kommt aus dem Buch heraus eine ziemlich ausgeglichene Damenindischvariante aufs Brett. Nach dem wahrscheinlich ungenauen 15. Tfb1?! übernimmt zunächst Zappa die Initiative, ohne jedoch klare Vorteile nachweisen zu können. Über Jonny´s 23. Lc1!? war ich zunächst erschrocken, aber es sieht so aus als könnte Schwarz keinen Vorteil aus der temporären Diskoordination der weißen Figuren schlagen. Langsam kann Weiß seine Stellung konsolidieren und unternimmt selbst Gewinnversuche. Die sind aber mit 39. Lxf4?! schon wieder zu Ende, denn das relativ forcierte entstehende Springerendspiel bietet beiden Seiten null Gewinnchancen. Zappa hatte glaube ich 39.d5 mit weißem Vorteil erwartet. Insgesamt ein leistungsgerechtes Remis, wieder gegen einen sehr starken Gegner, insofern bin ich voll zufrieden mit Jonnys bisherigem Auftreten hier in Amsterdam.

Gruppenfoto

Heute Nachmittag fand auch noch die Blitz-WM statt. Unter den acht teilnehmenden Programmen war Jonny angesichts der starken Konkurrenz „heißer“ Kandidat auf Platz sieben; 3/7 und der sechste Platz sind da keinenfalls ein schlechtes Ergebnis, zumal alle anderen Programme außer MicroMax auf schnellerer Hardware liefen. Gewonnen hat das Turnier „Rekord“-Weltmeister Shredder von Stefan Meyer-Kahlen vor Rybka von Vasik Rajlich und Zappa von Anthony Cozzie. Gestern machten die Teilnehmer der Computer-WM eine Exkursion nach Volendam und Marken, einem ganz kleinen, romantischen Inselort mit knapp 2000 Einwohnern. In Volendam entstand auch das hübsche Foto, dass uns alle in traditioneller Kluft zeigt.“

Hier der Bericht zur 8. Runde:

Die Katze hat´s gut

„Der heutige Tag läuft nicht so erfreulich. In der Vormittagsrunde ist Jonny als Schwarzer in einer schottischen Partie gegen Loop (Fritz Reul) früh aus dem Buch und weicht bereits mit 7. … Sxd4 von den
bekannten Pfaden (7. … Sge7 bzw. 7. … Sf6) ab. Ganz so schlimm ist das noch nicht, Schwarz erreicht in der Folge eine durchaus spielbare Stellung. Mit 21. … f6? öffnet er das Spiel jedoch voreilig – nach dem besseren 21. … Ld8 sehe ich keinen weissen Vorteil. So dagegen blaesst Weiss mit 22. g4! mutig zum Angriff, waehrend Schwarz dem weissen Koenig trotz des gelockerten Bauernschilds nicht beikommen kann. Die folgenden taktischen Nettigkeiten sind für Menschen schwer durchschaubar, Computer drehen hier voll auf. 32. Tde6! bricht Schwarz endgültig das Genick, denn damit wird Te8 und somit die einzige Chance auf Gegenspiel unterbunden; drei Züge später ist die Partie vorbei.

Auf der Insel Marken

Am Nachmittag schafft Jonny dann wie erwartet gegen Micro-Max von Harm Geert Muller den vollen Punkt. Zwar steht dieser bisher mit 0/8 Punkten ganz am Tabellenende (woran sich wahrscheinlich auch nichts ändern wird), Micro-Max ist aber auch nicht direkt auf Spielstärke, sondern auf einen möglichst kleinen Programmcode getuned: dieser umfasst nicht einmal 2000 Zeichen(!!). Ziemlich unglaublich, dass man damit nicht nur ein voll spielfähiges Schachprogramm, sondern sogar fast alle Standardsuchtechniken einigermassen vernünftig implementieren kann. In den gängigen Ranglisten wird Micro-Max mit etwa 2000 Elopunkten gelistet, wahrscheinlich mit weitem Abstand das einzige Programm, das es auf ein Verhältnis von etwa 1 Elopunkt pro Zeichen bringt…“

Hier der Bericht zur 9./10. Runde:

„Ein schlechter Tag für Jonny. Gegen IsiChess (Gerd Isenberg) kommt er am Vormittag mit Weiß in einer wenig mitreißenden Partie nicht über ein Remis hinaus und hatte auch niemals irgendwelche Gewinnchancen. Am Nachmittag kommt es noch schlimmer, denn das bisher sehr unglücklich agierende Programm „The Baron“ von Richard Pijl startet leider ausgerechnet da sein verspätetes Comeback. Immerhin war die Partie sehr interessant, in einer schottischen Partie war „The Baron“ bis 14. … Dc5 im Buch, während Jonny ab 9. … Lxe3 selbst denken musste. Beide Programme sehen zunächst Schwarz im Vorteil, aber beginnend mit 17. … Lxh3?! leistet sich Jonny einige Ungenauigkeiten: 20. … h5? erlaubt es Weiss, den Läufer auf die Diagonale b3-g8 zu bringen und dauerhaft Druck auf den Bauern f7 auszuüben. Auch bei 26. … h4 habe ich meine Zweifel, zumindest kann Weiß dann schon ein sehr unangenehmes Endspiel mit Turm und Läufer gegen zwei Springer erzwingen. Wenn Schwarz sich schon darauf einlassen will, hätte er wenigstens im 32. Zug zu 32. … g2 33. Txg2 Txg2+ 34. Kxg2 greifen sollen, denn dann verbleiben ihm zwei verbundene Freibauern am Königsflügel. Nach 32. … Kg7 ist es dagegen nur einer. Zu meiner Überaschung schafft es Schwarz zunächst trotzdem, den Weißen am Königsflügel in Schach zu halten, ohne dass der mit dem Turm die Bauern am Damenflügel abgrasen kann. Auf Dauer sind die Drohungen mit dem f-Bauern aber zu schwach, da Weiss in vielen Varianten seinen Läufer dafür geben und in ein gewonnenes Endspiel mit Turm und a-Bauer gegen zwei Springer bzw. auch nur a-Bauer gegen Springer abwickeln kann. So muss ich mich nach 69 Zügen in die Niederlage fügen. Morgen geht es in der Schlussrunde noch mit Schwarz gegen das Programm meines Zimmergenossen Gian-Carlo Pascutto, „Deep Sjeng“ – das wird auch alles andere als leicht!“

Hier der Abschlussbericht Johannes Zwanzgers:

Abflug aus Amsterdam

„So, jetzt ist sie vorbei, die Computer-WM 2007. In der letzten Runde bot Jonny nochmal eine solide Leistung und erreichte (entgegen meiner Ankündigung mit Weiß) relativ problemlos ein Remis gegen
das starke belgische Programm „Deep Sjeng“ von Gian-Carlo Pascutto. Zwischendrin sah er sich mit seinem Freibauern auf d6 sogar merklich im Vorteil, aber das war wenig realistisch. Insgesamt bringt er es damit auf 5.0/11 und erreicht den siebten Platz, womit ich recht zufrieden sein kann: anders als bei vorangegangenen WMs gab es hier (vielleicht mit Ausnahme von MicroMax, aber selbst der spielt ganz ordentlich) keine leichten Gegner, die Topprogramme liefen auf 8x-Systemen, Gridchess gar auf 88 CPUs. Außerdem war Jonny in Amsterdam das beste Zweiprozessorsystem, wofür es aber natürlich keinen extra Titel gibt. Gewonnen hat das Turnier absolut verdient „Rybka“ mit 10.0/11, ein Programm, das seit Dezember 2005 alle gängigen Computerranglisten mit deutlichem Vorsprung anführt und für das der WM-Sieg eigentlich schon im letzten Jahr „fällig“ gewesen wäre. Herzlichen Glückwunsch an den Autor Vasik Rajlich!

Ich selbst bin heute ziemlich motiviert und mit vielen neuen Ideen nach Hause zurückgekehrt und hoffe, dass ich Jonny für die im August anstehende Chess960-WM in Mainz bzw. für die WM nächstes Jahr in Peking deutlich verbessern kann.“

Endstand:

1    10.0   Rybka - World Chess Champion
2     9.0   Zappa - Silver Medal
3     7.5   Loop  - Bronze Medal
4-5   7.0   GridChess Shredder
6     6.0   DeepSjeng
7     5.0   Jonny
8     4.5   Diep
9     4.0   TheBaron
10    3.5   IsiChess
11    2.5   TheKing
12    0.0   mirco-Max

Hier die Partien zum Nachspielen: