Johannes Zwanzger in Turin (25.5.)

Turin06 WCCC

Hier der Bericht von Johannes zur aufregenden ersten Runde der Schachcomputer-Weltmeisterschaft in Turin — jetzt mit Partie online im Viewer!

Meine Nerven – was für eine Partie!

Bereits zum Auftakt bekommt es Jonny mit dem amtierenden Weltmeister Zappa von Anthony Cozzie zu tun, der bei diesem Turnier auf den 512 Itanium-Prozessoren eines amerikanischen Supercomputers rechnet.

Zum Vergleich: als Zappa letztes Jahr in Reykjavik Weltmeister wurde, brachte Anthony seinen Rechner noch selbst mit, der „nur“ vier CPUs verwendete. Auf dem Supercomputer untersucht Zappa etwa 80-100 Millionen Stellungen pro Sekunde. Jonny bringt es in der gleichen Zeit auf 3-4 Millionen – man kann sich also denken, wie „hoch“ ich meine Chancen vor der Partie angesetzt hatte.

Aber dann kam alles ganz anders:

Zappa-Team
Erdogan Guenes, Anthony Cozzie

Nach einer langen Buchvariante entsteht eine igelähnliche Position, in der Schwarz etwas gedrückt, aber meines Erachtens sehr solide steht. Würde mich jemand nach der Bewertung fragen, so würde ich Weiß leichten Vorteil attestieren und schnell das Weite suchen, bevor die Frage nach einem konkreten Plan nachgeschoben wird…
Ähnlich geht es den beiden Maschinen: sie haben absolut keine Idee, wie es voran gehen soll und ziehen lange nur planlos hin und her. Mir war das natürlich sehr recht, denn in diesen Stellungen kann Zappa seinen Hardwarevorteil kaum ausspielen – es gibt einfach nicht viel zu berechnen.

Dann plötzlich wird es Jonny zu dumm und er startet eine bizarr anmutende Aktion: 42. … g5 gefolgt von Kg7-g6 und g4 nebst Öffnung der g-Linie sieht nach Selbstmord aus, aber ist wohl gar nicht so schlecht, wie es aussieht – jedenfalls bekommt Schwarz als Kompensation für seine luftige Königsstellung ein schönes Feld auf e5 und Druck auf den weißen Bauern e4.

Zappas Ausgabe

Die folgende Partiephase läuft dann nicht so gut für Jonny, er sieht sich zu 57. … e5 genötigt, und erstmals in der Partie schätzen beide die weiße Stellung als besser ein, Zappa sogar mit etwas mehr als einer Bauerneinheit. Trotzdem findet er keinen Weg, seinen Vorteil zu realisieren, und langsam bekommt Schwarz die Sache wieder in den Griff. Letztlich landen wir in einem totremisen Endspiel mit weißem Springer gegen schwarzen Läufer.

Allerdings hatte ich ein Riesenproblem: Jonnys Uhr war schon auf knappe sechs Minuten heruntergelaufen und da schon über 90 Züge gespielt waren, nahm er sich (in der Annahme, dass die Partie jetzt wohl bald vorbei sein wird) noch ziemlich viel Zeit für jeden Zug. Zu allem Überfluss bewertete er die Stellung als besser für sich, so dass er konsequent jeder Zugwiederholung auswich. So wurde wieder erst mal eine zeitlang herumgezogen.

Als nur noch etwa eine Minute auf Jonnys Uhr verblieben war, hatte ich die Partie innerlich eigentlich schon abgeschrieben, denn das Remis durch die 50 Züge-Regel schien unerreichbar – zumal sich Jonny diesem so lange wie möglich verweigern würde.

Wohlgemerkt: Jonny selbst kann natürlich relativ locker 50 Züge in einer Minute schaffen, aber ich muss als Operator ja den Zug noch auf dem Brett eingeben, bevor die Uhr gedrückt werden darf; und wenn der Gegner geantwortet hat, verbrauche ich ebenfalls etwas Zeit, um den Zug in Jonny einzugeben. Trotzdem bringe ich es in dieser Phase doch auf einen Schnitt von etwa 1 Sek/Zug, und ein kleines Wunder geschieht:

Plötzlich „explodiert“ Jonnys Bewertung auf mehr als zwei Bauerneinheiten! Als zwei Züge später auch Zappa dick ins Minus abstürzt, ist mir klar, dass tatsächlich irgendwas auf dem Brett passiert sein muss (und nicht etwa ein Bug in Jonny schuld ist). In dieser Phase habe ich von der Partie an sich so gut wie gar nichts mehr mitbekommen, es ging nur noch darum, möglichst schnell den nächsten Zug aufs Brett zu werfen.

Kurz darauf folgt die erste Mattansage von Jonny – aber dann passiert ein zweites Wunder: Weil Jonny auf seiner internen Uhr nur noch ein paar Sekunden stehen hat, spielt er 153. … Ka1?? nach 0.2 Sekunden mit einer Suchtiefe von zwei Halbzügen – das heißt, er hat praktisch gar nicht vorausgerechnet und auch nicht auf die Endspieldatenbanken zugegriffen, die ihm sofort den schnellsten Weg zum Matt gezeigt hätten. Somit endet die Partie dann mit einem Remis in dieser Stellung…

Endstellung Zappa – Jonny

Die Endstellung der Partie Zappa – Jonny; man beachte die acht Sekunden Restbedenkzeit, die Jonny verblieben waren.

Ein bisschen schade zwar angesichts der Riesenchance zum Schluss, insgesamt aber meines Erachtens ein gerechter Ausgang und natürlich ein grosser Erfolg für mich.

Soweit Johannes von der 1. Runde. Wir sind gespannt auf die nächsten Partien!

Hier die Partie zum Nachspielen:
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